Welt 2050

Sie seufzte. Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass es für sie so schwer sein würde. Im Gegenteil: Anfangs hatte sie sich gesträubt. Dachte: „Die wollen sich doch über uns alle nur damit lustig machen. Wer nimmt uns schon ernst!“.

Aber alle ihre versuchten Ausreden hatte nichts genützt. Sie war in das Allgemeine Parlament eingezogen worden, obwohl auch ihr Arbeitgeber alle Hebeln in Bewegung gesetzt und alle Verbindungen genutzt hatte, um sie auf ihrem Arbeitsplatz zu halten.

Aber so hatte sich die Demokratie eben geändert.

Statt nur Personen über die Zukunft und Gegenwart des Landes bestimmen zu lassen, welche ihr ganzes Leben – oder zumindest einen Großteil davon – nur in der „geschützten Werkstatt“ der Parteiorganisationen verbracht hatten mussten nun jeweils zu einer/einem „Berufspolitiker/in“ auch eine Person aus dem gemeinen Volk Seite an Seite mi dieser/diesem im Hohen Haus sitzen.

Die Stimme zählte nur gemeinsam. Nur wenn Armateur/in und Profi sich auf eine Meinung, einen Kompromiss einigen konnten zählte die Stimme der beiden als eine.

Kein Kompromiss, keine Einigkeit – keine Stimme.

Das hatte das parlamentarische Geschehen komplett auf den Kopf gestellt.

Natürlich gab es auch unter den Beisitzer/innen aus dem Volk auch solche, welche sich ihre Stimme von den Profis abkaufen ließen. Anfangs war das sogar ziemlich häufig der Fall.

Jedoch waren die Strafen, wenn man bei einem derartigen Deal erwischt wurde, sehr heftig. Und da man nach kurzer Zeit für die Stimme dadurch keine Vorteile mehr bekommen konnte nahmen es den AmtateurInnen immer ernster mit ihren Entscheidungen.

Zuerst hatte sie ihre Berufung als furchterregend empfunden, dann als verwirrend. Bis sie sich mit Hilfe der ihr zur Verfügung gestellten Parlamentseinweiserin zurecht gefunden hatte hatte es aber nicht lange gedauert.

Dann kam eine Zeit, in der alles extrem spannend und teilweise auch sehr anstrengend war. Ihre „Profi“-Partnerin hatte keinerlei Versuche gemacht, sich ihre Stimme mit unlauteren Mitteln zu holen sondern ihr immer geholfen, zu einem Verständnis der Sache zu gelangen und gemeinsam eine Entscheidung zu treffen.

Was sie am meisten überrascht hatte war die Tatsache, in wie vielen Bereichen sie ihre Partnerin bei der Entscheidungsfindung unterstützen konnte durch ihr Wissen aus dem täglichen Leben.

Und so waren sie innerhalb der vierjährigen Legislaturperiode eine wirklich gutes Team geworden – so wie die meisten der übrigen 93 Teams.

Ob es wohl allen so leid tut, diese Funktion jetzt hinter sich lassen zu müssen?

Aber in einem war sie sich sicher: sie würde auch weiterhin politisch tätig sein. Sie hatte schon von Parteien Anfragen erhalten, welche sie gerne in ihren Reihen sehen würden. Doch grundsätzlich wollte sie wieder in ihr geregeltes Arbeitsleben zurück – wenn auch mit nicht aufgegebenen Bindungen in die Politik.

Ja – ganz so unpolitisch, wie sie vor ihrer Funktionsperiode war, würde sie wohl nie wieder werden.

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