Sie musterte ihr Spiegelbild noch einmal genau und überlegte, ob sie die Haare wirklich offen tragen sollte. Dann strich sie kurzentschlossen ihr glattes, braunes Haar nach hinten und band es mit einem Haarband zusammen.
Ihre Überlegungen schweiften ab von ihrem Aussehen zu den Dingen, die sie für heute noch vor hatte.
Allzu gerne wäre sie ins Shoppingcenter einkaufen gefahren. Doch um dorthin zu gelangen müsste sie entweder jemanden finden, der sie auf seine oder ihre Wegstreckenkosten mitnahm oder mit dem Rad fahren. Für den Fußweg war ihr das Center zu weit entfernt. Und sollte sie dort etwas kaufen müsste sie es auf dem Rückweg tragen. Das war ihr denn doch zu viel.
Ihre Großmutter hatte ihr noch von einer Zeit erzählt, wo die Leute einfach hinfahren konnten wie und wohin sie wollten. Unvorstellbar, sich so etwas heute vorzustellen.
Man stelle sich vor: Auf den Straßen alle Arten von Fahrzeugen, in welchem Menschen einfach so durch die Gegend fuhren.
Seit der Einführung der personalisierten Wegstreckenmengen hatte sich das beinahe schlagartig aufgehört.
Auf der ganzen Welt hatte jeder Mensch nun für jedes Jahr eine gewisse Wegstrecke frei, welche für jedes maschinenbetriebene Fahrzeug galt. Nur Wege, welche zu Fuß oder mit reiner Muskelkraft zurück gelegt wurden, fielen nicht unter die Begrenzung.
Sie hatte kein Fortbewegungsmittel außer einem Fahrrad. Aber auch wenn sie ein öffentliches Verkehrsmittel benutzte ging dies zu Lasten ihres Wegkontos.
Dabei hatte sie es sich gut einrichten können und ihre Arbeitsstätte und ihre Wohnung lagen so nah, dass sie problemlos ohne Nutzung ihres Wegstreckenkontos die Entfernung zurücklegen konnte. Andere hatten nicht so viel Glück.
Dafür hatte sie in diesem Jahr einiges von ihren Kilometern bereits an andere verkauft, welche nicht schlecht für ihren Verzicht an Mobilität bezahlten. Damit hatte sie einige neue Dinge für ihre Wohnung beschaffen können.
Sie war vielleicht ein bisschen zu großzügig gewesen. Denn jetzt musste sie schon sehr gut überlegen, ob sie sich den Besuch bei ihrer Großmutter überhaupt noch leisten konnte. Und wollte sie darauf nicht verzichten dann musste sie ihre Besuche bei Freunden entweder zu Fuß oder mit dem Rad absolvieren oder darauf verzichten.
Trotzdem: sie fand das System des Wegstrecken-Kontos für jedermann eine gute Einführung. Denn so hatten jene, die sich ohnehin Reisen oder ein eigenes motorisiertes Transportmittel nicht leisten konnten, wenigstens auf dem Umweg des Verkaufs ihrer persönlichen Kilometer auch etwas vom Aufwand der Allgemeinheit für die Erhaltung der Strassen und Infrastruktur.
Entschlossen war sie einen letzten Blick in den Spiegel und entschied sich für das Shoppingcenter und das Fahrrad, um ihr Guthaben auf dem Wegstreckenkonto doch für einen Besuch bei ihrer Großmutter zu schonen.