Stell dir vor (4)

„Hallo, Liebling!“ ruft sie laut, als sie die Wohnungstür öffnet, ihre Sachen auf dem Hocker im Vorzimmer fallen lässt und den Schlüssel auf dem Schlüsselbrett aufhängt.

Ja, bei manchen Dingen ist sie richtig altmodlisch. Diese elektronischen Schlösser mit Stimmerkennung oder Daumenabdruck mag sie nicht und daher ist ihre Wohnungstür noch immer mit dem alten Schlüsselschloss gesichert. Ihre Wohngegend galt als sicher. Und der Concierge in der Eingangshalle war eine unüberwindliche Hürde für Personen, die nicht legal in das fünfzigstöckige Appartementhaus hinein kommen wollten.

„Ich bin schon fast fertig!“ hört sie aus dem kleinen Kabinett, das früher eigentlich als Kinderzimmer gedacht war. Aber sie haben die Phantasie, ein eigenes Kind zu haben, bereits vor vielen Jahren auf gegeben. Die Anforderungen ihrer Arbeitsstellen, die Freizeitaktivitäten mit ihre Freunds und die drohenden Einschränkungen ihrer Möglichkeiten haben sie davon überzeugt, dass Kinder noch am ehesten entbehrlich waren in ihrem Leben.

Aber diese neue Anlage…. Sie hatten so viel in den Medien darüber gehört, es sollte so lebensecht sein, so …..

„Bringst du eine Flasche Wein mit und etwas zu Knabbern?“ ruft er noch und sie holt die gewünschten Dinge schnelle aus der Küche und geht ins Kabinett.

„Na, bist du startbereit?“. Er lächelt sie an. „Es wird super – ich habe schon ganz kurz ausprobiert, wie es funktioniert. Du wirst es nicht glauben!“ „Dann fang schon an!“ fordert sie in auf.

Er gibt ihr die Google Glas und weist ihr einen der beiden Sessel in dem kleinen Zimmer zu.

„Soll ich die Tür zu machen?“ fragt sie. „Das ist nicht notwendig, bei diesem Sound System!“ antwortet er und drückt sie in das Sitzmöbel. Und setzt sich selbst in den anderen, nachdem er die letzten Einstellungen an der Zentralsteuerung gemacht hat und ihr die Google Glas reicht. Er setzt seine auf und sie tut das selbe.

Dann geht die Show los – es ist ein Krimi, den sie sich ansehen. Die Brille lässt das Bild direkt auf der Netzhaut entstehen, das Sound System die Geräusche direkt an den Gehörnerven. Die Authenzität ist enorm.

In dem Krimi geht es um einen Wohnungseinbruch.

Eine Tür geht auf, sie meinen direkt, den Luftzug zu spüren. So gut ist die Illusion.

Schritte, deren Herkunft aus dem Film stammen, scheinen direkt hinter ihrem Rücken zu erklingen. Sie denkt kurz daran, sich umzudrehen. Aber sie weiß – es ist nich real. Es kommt alles aus dem „System“.Möbel werden verschoben, Türen auf und zu gemacht, Bilder von den Wänden genommen. Sie hören das Klicken, als die Einbrecher im Film versuchen, den Safe zu öffnen. Komisch, denkt sie, in diesem Film haben sie einen ähnlichen alten Safe wie wir.Und wieder dreht sie sich beinahe um, aber ihr Freund tippt ihr auf das Bein, damit sie ihm Wein in sein Glas nachgießtl und ihm etwas von den Knabbereien gibt.Ein Telefon klingelt – ein altmodischer Apparat, denkt sie. So wie der unsere. Das Geräusch bringt die die Einbrecher dazu, die Wohnung zu verlassen. Die Tür geht wieder auf und das Geräusch, welches sie beim Schließen macht, schreckt sie auf.Hat sie die Wohnungstür abgeschlossen? Sie ist sich nicht sicher – zu gierig war sie darauf, die neue Anlage zu sehen und in Aktion zu erleben.Sir reisst sich die Brille herunter – er wirft ihr einen erschrockenen Blick zu. Sie läuft aus dem Kabinett und bleibt mit einem Schrei stehen.Als er ihr  nachkommt wird auch er blass: die wertvollen Bilder an den Wänden fehlen, der Safe steht offen und Schubladen, in welchen ihre Wertgegenstände wie Goldmünzen und Schmuck verstaut gewesen waren, stehen offen und sind leer.

 

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